|  | English 
                version 
 WIR 
                KENNEN APOKALYPSEN von Grenzfurthner 
 Wir 
                kennen Apokalypsen aus unserer medialen Lebenswelt. Die einen 
                kommen in Form von Asterioden, die anderen in Form von Zombiehorden, 
                wieder andere äußern sich als gigantische radioaktive 
                Echsen aus dem Meer. All diese Dinge sind unwahrscheinlich. Ein 
                Zufall ist ein Ereignis, das, bevor es eingetreten ist, sehr unwahrscheinlich 
                war. Davon gibt es Millionen und Milliarden.  | 
           
            |  
                Fast alles, was uns und anderen zustößt, ist extrem 
                unwahrscheinlich - die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte 
                Schneeflocke exakt auf unserer Nase landet, ist kleiner als 10 
                Lottogewinne hintereinander, aber trotzdem landet nicht selten 
                eine Schneeflocke exakt auf unserer Nase. Gewisse Dinge passieren 
                also einfach oft, manche sehr selten. Zum Beispiel, dass die Erde 
                von einer ungewöhnlichen Strahlungswelle getroffen wird. 
                Die Welle schwirrt weiter auf ihrem Kurs, aber nehmen wir an, 
                dass durch besagte Strahlungswelle alle Menschen zu PornofilmdarstellerInnen 
                mutieren. Oder sagen wir: sie beginnen, die typischen Verhaltensmuster 
                von Pornofilmcharakteren anzunehmen. Das könnte man ja als 
                prinzipiell positiv bewerten. Der Mensch ist ja für die Libido. 
                Gewaltsame Auseinandersetzungen würden rapide abnehmen. Aber 
                dennoch müßte davon ausgegangen werden, dass sich innerhalb 
                kürzester Zeit das Ende der Zivilisation einstellen würde. 
                Ein hypothetischer Herr M. könnte sich nicht in seiner Wohnung 
                bewegen (und würde es anders auch nicht wollen) ohne auf 
                seine extrem geile Frau zu treffen und zwischen morgentlichem 
                Aufstehen, Zähneputzen und Frühstücken würden 
                mehrere wollüstige Geschlechtsverkehre liegen. Eine potentiell 
                vorhandene zügellose Putzfrau darf auch nicht vergessen werden. 
                Im Stiegenhaus gäbe es genügend Möglichkeiten für 
                weitere Aktionen. Nymphomanische Nachbarinnen, perverse Nachbarn, 
                hemmungslose Briefträger, dickschwänzige Müllmänner. 
                In der Gemischtwarenhandlung nebenan könnte kein Kilo Zucker 
                gekauft werden ohne lüsterne Kopulation mit Tante Emma oder 
                ungestüme Intimberührungen mit unersättlichen Kundinnen 
                oder frech-frivolen Kunden. Und weiter ginge es. Öffentliche 
                Verkehrsmittel, das Büro, der Tennisplatz, überall. 
                Keine normale Tätigkeit wäre denkbar. Jede Handlung 
                würde unausweichlich im freizügigen Sex enden. Ein Bild 
                als hätte J. L. Borges endlich seinen ersten Hardcore-Roman 
                geschrieben. Wir könnten eine vollkommene Verlangsamung aller 
                gesellschaftlichen Prozesse verfolgen, zuallererst die Reduktion 
                der Kommunikation auf ein Level, das wohl jedes Orwell'sche Neusprech 
                wie Ulysses aussehen lassen würde. Jedwede zivilisatorische 
                Entwicklung würde in einer Flut lüsterner Leiber vergehen. 
                Außerdem würden nach einer Generation sowieso alle 
                aussterben. Pornofilmdarstellerinnen nehmen ja immer die Pille. 
                Welch endzeitlicher Gedanke. Aber eher unwahrscheinlich. 
 |